Ein Blick rundum in die Geschichte
Wie hat Martin Luther Wittenberg gesehen? Was spielte sich zur Zeit der Reformation auf den Straßen und Gassen der Stadt an der Elbe ab? Fanden Ablass-Verkäufer wie Johann Tetzel zahlreiche Käufer? Ein Panorama-Gemälde soll zur Reformations-Weltausstellung „Tore der Freiheit“ im Jahr 2017 in Wittenberg die Szenerie erlebbar machen.
Die Rundum-Darstellungen wichtiger Ereignisse und Orte der Weltgeschichte hat sich der Künstler Yadegar Asisi zur Aufgabe gemacht. Er hat Dresden zur Barockzeit und im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs dargestellt oder einen Panoramablick auf die Berglandschaft rund um den Mount Everest, hat den tropischen Regenwald des Amazonas, wie ihn Alexander Humboldt erforschte, samt prasselndem Regen und unheimlichen Geräuschen ebenso erlebbar gemacht wie die Zeit des Kalten Krieges der 1960-er-Jahre im geteilten Berlin.
Die 360-Grad-Panoramen sind nur zeitweise zu sehen. In der Summe zogen sie mehr als fünf Millionen Besucher an. Das Interesse etwa an dem Monumentalgemälde von Leipzig, geschaffen zum 200-Jahr-Gedenken der Völkerschlacht vor zwei Jahren, reißt nicht ab. Dabei zeigt es nicht das mörderische Getümmel auf dem Schlachtfeld, sondern die bedrängte und Not leidende Bürger- und Handelsstadt Leipzig kurz vor dem Wendepunkt europäischer Geschichte.
Nun also soll die Reformationszeit in den Blick genommen werden. Welcher Ort eignete sich dafür besser als Wittenberg? Erst vor wenigen Jahren hat der in Sachsen aufgewachsene Asisi die Lutherstadt für sich entdeckt. Für seine Panoramen hat er längst Anfragen aus aller Welt. Doch als Künstler will er sich die Aufträge aussuchen: „Ich bin doch kein Dienstleister“, erklärt Asisi selbstbewusst.
Mit dem Verein reformationsjubiläum 2017 hat er einen Partner für die Verwirklichung des Projekts gefunden und ist bei der Stadt Wittenberg auf offene Ohren dafür gestoßen. Zur Vorstellung des Vorhabens „Luther 1517“ kam auch die EKD-Reformationsbotschafterin Margot Käßmann, die die Schirmherrschaft übernommen hat. „Wer 2017 nach Wittenberg zur Weltausstellung kommt, wird auch das Panorama sehen wollen“, zeigte sie sich überzeugt. Dafür soll eine Kombi-Eintrittskarte sorgen, die weniger als 20 Euro kosten soll. Und die Besucher sollten Zeit für das Panorama-Bild einplanen, betonte Käßmann. „Man kann mehrere Stunden vor dem Bild verbringen und immer wieder etwas Neues entdecken.“ Gerade in dem erwarteten Trubel im Reformations-Jubiläumsjahr dürfte das Asisi-Panorama für eine Entschleunigung sorgen.
Yadegar Asisi sieht die Aufgabe als Ehre und Herausforderung zugleich, einen Beitrag zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags zu schaffen. „Ich bin mir der Verantwortung bewusst“, sagt der Künstler, der nicht nur den Moment des Thesenanschlags zeigen will, sondern die Entwicklung, die dazu führte. Asisi nennt das „Zeitverdichtung“. „Vielleicht werden Szenen aus dem Bauernkrieg oder auch eine Hexenverbrennung zu sehen sein“, stellt er Überlegungen an. Er wolle nicht eine „Wahrheit“ darstellen, sondern eine künstlerisch verdichtende Interpretation der Geschehnisse.
„Wenn die Besucher aus dem Panorama kommen, sollen sie sagen: Ich war auf dem Schlossplatz zu Luthers Zeiten.“ Dafür wird größter Aufwand betrieben. Am Nordende der Altstadt Wittenbergs wird eine Rotunde, ein Rundgebäude mit 30 Metern Durchmesser errichtet. Darin wird sich das Panorama auf 75 Metern Länge und 15 Metern Höhe erstrecken. Die Besucher werden auf einer Plattform in sechs Meter Höhe stehen, die Augen werden also etwa auf halber Höhe des Bildes sein. Die Baukosten werden auf fünf Millionen Euro geschätzt. Aber alle Beteiligten sind sich aufgrund der Erfahrungen mit den bisherigen Panoramen sicher, dass die Kosten durch einen guten Besuch wieder hereingeholt werden. „Wir rechnen mit 3 000 bis 5 000 Besuchern täglich“, erklärte Margot Käßmann. Asisi ergänzte: „Das weltweite Interesse an meinen Panoramen zeigt, dass erkannt wurde, dass man damit auch Geld verdienen kann.“
Wann mit der Fertigstellung des Gebäudes und des Panoramas zu rechnen ist, wagen die Verantwortlichen noch nicht zu sagen. „Ende 2016“ hieß es – das wäre gerade rechtzeitig zum Beginn des Jubiläumsjahres, das mit dem Reformationstag am 31. Oktober 2016 beginnen soll. Der Aufwand für das Monumentalgemälde sei allerdings sehr groß, erklärt Asisi, „etwa vergleichbar mit einer Filmproduktion.“ Er greife auch nicht mehr wie bei den ersten Panoramen selbst zum Pinsel, sondern bediene sich moderner Hilfsmittel wie der Fotografie, dreidimensionalen Modellen und Digitaltechnik.
Es bleibe aber eine künstlerische Arbeit, betont Asisi, und erinnert an die historischen Vorgänger im 19. Jahrhundert. Ähnlich wie die Künstler damals fertige er zahllose Skizzen und Zeichnungen an. Bis zu 50.000 Fotografien ergänzten diese „Materialsammlung“, zu der auch Recherchen in Archiven gehören. Asisi legt nicht nur Wert auf korrekte Perspektiven und Farbgebung, sondern auch auf Details wie zeitgerechte Kleidung. Zur Lebendigkeit seiner Panoramen tragen auch aufwendig produzierte Szenenbilder bei, bei denen er Komparsen und Kulissen für Fotoaufnahmen arrangiert.
Aus dem so gewonnenen Material erarbeitet ein 15-köpfiges Team die einzelnen Elemente, die Asisi am Computer arrangiert. Diese werden dann gedruckt auf drei Meter breite und mehr als 30 Meter lange Stoffbahnen, die dann in der Rotunde angebracht werden. Doch bevor Besucher kommen, legt der Künstler noch einmal mit dem Pinsel letzte Hand an. Und erst wenn auch die letzte Farbnuance seinen Vorstellungen entspricht und mit Licht und Ton die erwünschte Atmosphäre erzeugt werden kann, öffnen sich die Türen für den Besucher.
Die Ära der Asisi-Panoramen begann 2003 in Leipzig. In einem ehemaligen Gasometer, das zu einem „Panometer“ wurde, führte das 100 Meter lange und 30 Meter hohe Gemälde in die Himalaya-Berglandschaft am Mount Everest ins „Tal des Schweigens“ auf 6000 Meter Höhe. Zwei Jahre später war am selben Ort das antike Rom im Jahre 312 zu sehen: der Einzug Kaiser Konstantins. Dieses Panorama blieb bis 2009, um dann dem „Amazonien“-Projekt Platz zu machen. dieses „Zauberbild der Natur“ war bis 2013 zu erleben. „ROM 312“ zog unterdessen – neu bearbeitet – nach Dresden und blieb im dortigen Panometer bis 2012, um dann in Pforzheim und dem französischen Rouen gezeigt zu werden. „Pergamon – Panorama einer antiken Weltstadt“ besuchten in Berlin binnen eines Jahres (2011/2012) nahezu eine Million Menschen. Noch immer ein Besuchermagnet ist das Panorama „Die Mauer“, das am Checkpint Charlie in Berlin zu sehen ist.
Das „Everest“-Panorama wurde im Leipziger Panometer noch einmal 2012/2013 gezeigt, bevor es im August 2013 Platz machte für das Monumentalgemälde „Leipzig 1813 – in den Wirren der Völkerschlacht“. In Dresden wurde bis dieses Jahr der „Mythos der barocken Residenzstadt“ auf übergroßer Leinwand präsentiert, bevor im Panometer Platz gemacht wurde für die Erinnerung an die Zerstörung der Stadt im Jahr 1945: „Tragik und Hoffnung einer europäischen Stadt“. Vom 6. Juni an soll aber wieder das „Mythos“-Panorama zu sehen sein. Am 3. Oktober wird im Leipziger Panometer das neueste Asisi-Werk präsentiert, „Great Barrier Reef“. Es zeigt die „Wunderwelt Korallenriff“.
Zum Künstler
Yadegar Aisis Vater, ein Kommunist, wurde im Persien des Schah verfolgt und musste 1955 mit seiner Familie aus Teheran fliehen. Ihm wurde in der DDR Asyl gewährt. Auf dem Weg dorthin wurde Yadegar Asisi in Wien geboren. Er wuchs aber in Sachsen auf und studierte Architektur an der Technischen Universität Dresden, dem sich ein Malereistudium an der Hochschule der Künste in Berlin anschloss. Von 1996 bis 2008 war er Architektur-Professor in Berlin. Seit den 1980-er-Jahren verbindet Asisi Malerei und Architektur in seinen Arbeiten, etwa mit dem „Mauerdurchblick“, einer illusionistischen Malerei an der Berliner Mauer 1986, der Rauminstallation „Anatomicum“ im Martin-Gropius-Bau Berlin 2001 oder der Rekonstruktion der Kolossalstatue Kaiser Konstantins im Panometer Leipzig und später bei der Landesausstellung „Konstantin der Große“ in Trier 2007.